Die blutroten Ufer von Enoshima

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(Meine Reiseroute innerhalb Japans findet ihr hier, allgemeines zu Japan hier.)

Mein erster Stopp in Japan war Tokio, und bei meiner Ankunft war das Wetter im Gegensatz zu Südkorea ausgezeichnet. Der Wetterbericht ließ aber schon vermuten, dass das nicht lange so bleiben würde, also entschied ich mich dafür, alle Tagesausflüge gleich auf die ersten Tage zu verschieben und Tokio erst später zu besichtigen. Erstes Ziel: Enoshima.

Eine meiner Lieblings-Bands ist Whispered aus Finnland. Ich habe nicht nur vor einigen Jahren Sänger und Gitarrist Jouni Valjakka in Tampere getroffen, sondern durfte 2017 auch ein Konzert in Hannover fotografieren. Whispered spielen das, was einige als “Samurai Metal” bezeichnen, und haben es damit auch schon bis ins japanische Fernsehen geschafft – so wie ich 😉

Die Entstehung der Insel Enoshima wurde von Whispered in “Bloodred Shores of Enoshima” verewigt. Laut dem Enoshima Engi (江嶋縁起) des buddhistischen Mönchs Kōkei (皇慶) wurde die Landbevölkerung etwa Tausend Jahre lang vom fünfköpfigen Drachen Gozuryu (五頭竜) terrorisiert, welcher in einem nahen See hauste. Am 31. Mai 522 (ein erstaunlich genaues Datum…) ließ Benzaiten (弁才天), eine gleichzeitig im Buddhismus und Shintō beheimatete Göttin, die Insel Enoshima aus dem Meer aufsteigen und stieg dann begleitet von spektakulären Erscheinungen aus dem Himmel herab.

Der Drache verliebte sich in die Göttin, aber statt auf sein Werben einzugehen, führte Benzaiten ihm vor, wie sehr er die Landbevölkerung terrorisiert hatte. Gozuryu schämte sich so sehr, dass er flüchtete und sich in einen Hügel verwandelte. Benzaiten blieb in der Insel eingeschreint, und Enoshima wurde ein buddhistisches Heiligtum. Heute geht man übrigens davon aus, dass der fünfköpfige Drache ein Fluss gewesen sein könnte, welcher regelmäßig die Felder überschwemmte, und die Erscheinungen im Jahr 522 könnten mit einem Meteor in Verbindung stehen.

Ein Landstreifen und eine 600 Meter lange Brücke verbinden Enoshima mit dem Festland. Bis 1880 war die Insel aber weiterhin ein buddhistisches Heiligtum und nicht öffentlich zugänglich. Danach kaufte der Brite Samuel Cocking große Teil des Lands, errichtete einen botanischen Garten und einen Hafen. Der Hafen von Shonan auf Enoshima war Austragungsort der Olympischen Spiele 1964 und wird auch 2020 wieder für diesen Zweck genutzt werden.

Die Sandstrände von Fujisawa und Enoshima sind ein beliebtes Erholungsgebiet für die Bewohner Tokios, deswegen fahren gleich drei verschiedene Eisenbahnlinien zu drei verschiedenen Bahnhöfen im Stadtteil Katase nahe der Brücke: Die Odakyu-Enoshima-Linie zum Bahnhof Katase-Enoshima (片瀬江ノ島駅), die Enoshima Electric Railway zum Bahnhof Enoshima (江ノ島駅), und die Shōnan-Einschienenbahn zum Bahnhof Shōnan-Enoshima (湘南江の島駅). Ich bin mit der Odakyu-Enoshima-Linie die knapp 30 Kilometer vom Bahnhof Shinjuku gefahren, zum Preis von 970 Yen (etwa 7,50 Euro) pro Richtung.

Auf der Südseite der Insel befindet sich ein kleines Dorf mit Restaurants und Souvenirläden, dahinter führen lange Wege und steile Treppen durch die religiösen Heiligtümer. Die Spitze der Insel liegt immerhin knapp 150 Meter über dem Meeresspiegel. Wer sich das nicht zutraut, kann für 360 Yen (knapp 2,60 Euro) die Rolltreppe benutzen. Ich habe gehört, dass die Mitarbeiter der Schreins eine Whispered-CD haben. Vielleicht sind sie ja sogar bereit, ein paar Songs zu spielen, während man auf das läuten der Glocke wartet… 😉

Wie schon in der Einleitung zu Japan erklärt, sind die Heiligtümer meist eine Art Dienstleistung für die Besucher. Es gibt keine Kirchensteuern oder Mitgliedsbeiträge, da Shintō für die allermeisten Menschen keine organisierte Religion darstellt. Statt dessen wählt jeder Mensch selbst, welchen Schrein oder welche Anlage er besuchen möchte, oft auf Basis der Gottheit, welcher der Schrein gewidmet ist. Benzaiten beispielsweise steht für Eloquenz, Weisheit, Musik und Kunst und gilt daher als Schutzgöttin der Geishas, Musikanten und Tänzer. Da sie auch mit dem Wasser, den Drachen und den Seeschlangen in Verbindung steht, stehen ihre Schreine meist auf Inseln, Dämmen oder Brücken.

Die Besucher bezahlen für den Erhalt der Anlagen mit Geld, bekommen dafür aber auch etwas geboten. An so gut wie jede Spende ist ein Ritual gebunden. Ob man Münzen in einen Brunnen wirft und dann mit der Kelle Wasser über die Hände gießt, oder kleine Zettelchen mit Prophezeiungen kauft, oder kleine Schilder mit Wünschen beschriftet – es gibt in jedem größeren Schrein viel zu tun.

Die Regeln für die Prophezeiungen weichen immer ein bisschen ab, aber meistens funktionieren sie so: War die Vorhersage positiv oder neutral, nimmt man den Zettel mit. War sie aber negativ, knüpft man sie an die langen Drähte im Schrein, damit die Prophezeiung hoffentlich ungültig wird.

An dieser Wand hatten unzählige Liebespärchen ihre Namen auf die Schilder geschrieben. Benzaiten gilt aber üblicherweise als sehr eifersüchtig, weswegen Pärchen üblicherweise nicht gemeinsam in ihr gewidmete Schreine gehen sollten…

Auf der Spitze der Insel befinden sich Pagoden, Aussichtsplattformen und der recht kleine Samuel Cocking Garden (江の島サムエル・コッキング苑). Den Garten selbst fand ich nicht wirklich interessant, aber man kann für insgesamt 700 Yen (knapp 5,10 Euro) auf einen 60 Meter hohen Aussichtsturm, die Sea Candle, fahren.

Von der Sea Candle aus hat man einen ausgezeichneten Blick auf das Festland und den Südwesten der Insel. Irgendwo hinter dem Horizont liegen die Izu-Inseln (伊豆諸島), eine Gruppe von zwanzig Inseln, welche immer noch zur Präfektur Tokio gehören – obwohl der “Witwenfelsen” Sōfugan (孀婦岩) knapp 650 Kilometer von der Stadt entfernt liegt.

Enoshima ist vor Allem ein Paradies für Naturliebhaber. Anfang Oktober habe ich mich noch in T-Shirt und kurzer Hose von Schatten zu Schatten gequält, während am Himmel unzählige Schwarzmilane um Reviere und Essen stritten, die Eichhörnchen vor den Schwarzmilanen flüchteten und handtellergroße Spinnen ihre Netze von Baum zu Baum sponnen.

An der Südwestspitze der Insel steigt man auf eine ausgedehnte Strandlandschaft aus scharfkantigen Felsen herunter. Hier befinden sich auch die zwei Iwaya-Höhlen.

Auf dem Rückweg hatte ich von der Westseite aus noch mal einen ausgezeichneten Blick auf das Meer, den Sonnenuntergang und den Vulkan Fuji-san (富士山), das heilige Wahrzeichen Japans. Danach ging es über die Brücke zurück zum Bahnhof.

Nächster Stopp: Der Vulkan Hakone! 🙂

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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