Willkommen in… der Republik Moldau

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Viele glauben ja, dass es keine unentdeckten Flecken mehr gäbe. Auf dem Mount Everest drängeln sich die Touristen und posten schon seit Jahren über ein eigenes Mobilfunknetz direkt auf Instagram. Ehemals als “Geheimtipp” gehandelte Ziele werden von Billigfluglinien erschlossen.

Dabei muss man gar nicht in die Ferne schweifen: Die Republik Moldau, eines der am seltensten bereisten Länder der Welt, liegt gerade mal zwei Flugstunden von Frankfurt entfernt zwischen Rumänien und der Ukraine. Die Zahlen gehen etwas auseinander, aber die Statistiken sind sich darin einig, dass jährlich deutlich weniger als 20.000 ausländische Touristen ins Land kommen.

Die Einreise

Moldau ist kein EU-Mitglied und auch kein Mitglied des Schengen-Raums. Als EU-Bürger kann man trotzdem visumsfrei für 90 Tage einreisen. Das soll seit 2016 angeblich auch mit dem Personalausweis funktionieren (ähnlich wie in der Türkei), wir haben uns aber nicht darauf verlassen und unsere Reisepässe mitgenommen.

Air Moldova bedient einige wenige internationale Flughäfen, darunter auch Frankfurt. Wir hatten für Hin- und Rückflug plus Rail&Fly knapp 305 € bezahlt. Die Einreise an sich stellte kein Problem dar, man sollte aber darauf gefasst sein, dass die Beamten nicht gerade daran gewöhnt sind, Touristen vor sich zu haben. Gefühlt waren wir an diesem Tag die einzigen Nicht-Moldawier im Flugzeug.

Als ich an den Schalter kam und auf die Frage, was ich im Land wollte, mit “Tourism” antwortete, wurde der Beamte still und schaute etwas verwirrt. Dann kam ein etwas ungläubiges “Wenn Sie Tourist sind, welche Orte werden Sie denn hier besuchen?”. Ich nannte unsere geplante Route, er sah ein, dass wohl alles seine Richtigkeit hatte, und stempelte dann mit einem Seufzer meinen Reisepass. Es klang etwas nach “Ich habe keine Ahnung, was ihr euch hier anschauen wollt, aber bitte, tut euch keinen Zwang an” 😉

Die Hauptstadt Chișinău

Die Geschichte Moldawiens geht bis etwa 1350 zurück, die heutige Hauptstadt Chișinău wurde 1436 erstmals erwähnt. Moldawien stand zu verschiedenen Zeiten unter polnischer, osmanischer, russischer und rumänischer Herrschaft. Das heutige Staatsgebiet wurde 1940 festgelegt, als die Sowjetunion das zu Rumänien gehörige Bessarabien besetzte, Moldawien herauslöste und als Moldauische Sozialistische Sowjetrepublik (MSSR) neu gründete.

Seit der Unabhängigkeitserklärung 1991 ist Moldawien ein souveräner Staat, allerdings fühlt sich die abtrünnige Region Transnistrien (hier gehts zum separaten Artikel) immer noch zu Russland zugehörig.

Die zentrale Figur in der Erinnerung der Bevölkerung ist Stefan der Große (Stefan III. cel Mare). Er regierte das Fürstentum Moldau von 1457 bis 1504, schlug mehrfach die Osmanen zurück und bewahrte dadurch die Unabhängigkeit Moldaus.

51 Jahre unter sowjetischer Kontrolle haben natürlich ihre Spuren hinterlassen. Man erkennt sofort die typischen Betonbauten, welche ich auch schon in Jekaterinburg und an anderen Orten fotografiert hatte.

Chișinău ist eine ausgesprochen grüne Stadt mit vielen Parkanlagen und Wäldern. Man muss nie weit gehen oder fahren, um in Ruhe in der Sonne sitzen zu können.

Warum hier wohl Till Lindemann von Rammstein verehrt wird? 😉

“Grün” sind allerdings nicht nur die Parkanlagen. Wer würde nicht gerne in diesem Gebäude des Innenministeriums arbeiten?

Das Nationaltheater “Mihai Eminescu” verdeutlicht recht gut den immer noch starken Zusammenhang zwischen Rumänien und Moldau. Ein Nationaltheater gleichen Namens steht auch in Timișoara in Rumänien.

Auf diese öffentlichen Fernsprecher mussten wir uns glücklicherweise nicht verlassen. Für einige wenige Leu kann man SIM-Karten kaufen, die LTE-Abdeckung ist in den Städten sogar relativ gut.

In Chișinău leben etwa 725.000 der insgesamt nur etwa drei Millionen Einwohner des Lands (Transnistrien nicht eingerechnet). Moldau ist das ärmste Land Europas, je nach Quelle verdient jeder Einwohner im Schnitt nur zwischen 100 und 200 € pro Monat. Die Lebenshaltungskosten sind allerdings recht hoch, weswegen zwischen 2004 und 2017 etwa 17 Prozent der Bevölkerung ausgewandert sind.

Ein Viertel des Bruttoninlandsproduktes stammt aus den Überweisungen im Ausland lebender Bürger. Die Straßenlaternen waren auch voll mit Werbeanzeigen von Dienstleistern, welche Schengen-Visa für sechs bis zwölf Monate vermitteln können.

Natürlich fehlt in einem so armen Land dann auch das notwendige Geld für große Prunkbauten und Sehenswürdigkeiten. Viele Baustellen wurden begonnen und nicht beendet. Die Regierungsgebäude stammen alle noch aus Sowjet-Zeiten und sind teilweise nicht mehr benutzbar. Allerdings gibt es auch einige sehr schöne und eindrucksvolle Gebäude, welche gut in Schuss gehalten werden.

Der Regierungssitz:

Der Präsidentenpalast. Das Gebäude wurde am 7. April 2007 während der Proteste gegen den Ex-Präsidenten Vladimir Voronin so stark verwüstet, dass es nicht mehr benutzt werden kann und verschlossen werden musste.

Der Sitz des Parlaments gegenüber des Präsidentenpalastes.

Der Sitz des Landwirtschaftsministeriums für Agrikultur. Etwa 40% des Bruttoinlandsproduktes entfällt auf die Landwirdschaft, daher ist es kein Wunder, dass dieses Ministerium eines der größten Gebäude der ganzen Stadt belegt.

Das Nationaltheater für Oper und Ballett, gebaut im wunderschönen Sowjet-Beton-Stil. Das Programm war eher konservativ: Don Quijote, Macbeth und Schwanensee standen auf dem Spielplan.

Dieser Triumphbogen aus dem Russisch-Türkischen Krieg von 1828/1829 schien ein sehr beliebter Ort für Instagram-Fotoshootings zu sein. Die Glocke wurde aus den damals erbeuteten türkischen Kanonen gegossen. Es müssen sehr viele Kanonen gewesen sein, wenn es für eine über sechs Tonnen schwere Glocke gereicht hat…

An dieser kleinen Kirche scheiden sich die Geister. Die einen finden sie großartig, die anderen können ihr nichts abgewinnen und sprechen verächtlich von einer Touristenattraktion (naja, so viel “Tourismus” gibt es ja eh nicht…). Von außen sieht ja noch alles ganz normal aus, aber von innen…

Stein des Anstoßes ist dieses recht moderne, sehr bunte und wenig für Kinder geeignete Fresko. Vor allem die rechte untere Seite ist einigen wohl ein Dorn im Auge.

Der Dämon in der Mitte schaut angeblich gerade Pornographie auf seinem Laptop. Wirklich ein sehr modernes Fresko, und damit dürfte ja nun auch geklärt sein, was mit all den Sündern passiert… 😉

Abseits des kleinen und gepflegten Stadtzentrums stößt man schnell auf ganz andere Zustände. Diese Brücke ist schon vor Jahren abgebrannt, aber selbst der Abriss war der Stadtverwaltung und dem gegenüber liegenden Einkaufszentrum wohl zu teuer. Nun steht die Ruine samt Rolltreppe einfach in der Gegend herum, abgesichert mit ein bisschen Maschendraht.

Es gibt zwar große Supermärkte an jeder Ecke, aber die Märkte haben immer noch große Bedeutung.

Viele Einwohner kommen vom Land in die Stadt und verkaufen das, was sie haben. Vielleicht hat das Feld gerade zehn Kilo Kartoffeln abgeworfen, vielleicht einige Rüben, oder man hat eben gerade ein paar Kätzchen übrig.

Wir hatten die nächsten Tage für eine Rundfahrt eingeplant. Man hatte uns schon gewarnt, dass der moldauische Fahrstil recht “eigensinnig” und gefährlich sein soll. Allerdings habe ich seit einer Indonesien-Rundfahrt sowieso eine etwas andere Definition von “gefährlich” als die meisten Europäer, und sehr viel Verkehr gibt es in einem so kleinen und dünn besiedelten Land sowieso nicht…

Wie immer gilt: Der Tag ist, was man daraus macht, und man kann auch an auf den ersten Blick nicht besonders interessanten Orten etwas sehr Interessantes finden. Wer von diesen Bildern aus Moldau nicht beeindruckt ist, sollte sich schon auf die nächsten Artikel freuen… 🙂

Dieser Artikel wurde von Simon für One Man, One Map geschrieben. Das Original befindet sich hier. Alle Rechte vorbehalten.

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